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Buchkritik «Klimakriege»
Dem Untergang entgegen
10. Dezember 2009 | Wofür wird im 21. Jahrhundert getötet? Harald Welzer skizziert aktuelle Fronten und erklärt, weshalb wir die Klimakatastrophe zwar begreifen, aber nicht handeln.
Es ist ein schreckliches und ausgezeichnetes Buch zugleich, das Harald Welzer geschrieben hat – schrecklich, weil er die schiere Ausweglosigkeit des Klimawandels schonungslos darlegt; und grossartig, weil er vielschichtig und mit grossem Sachverstand argumentiert. Man braucht allerdings gute Nerven, um es zu lesen, denn die Aussichten sind düster. «Optimismus ist lediglich ein Mangel an Informationen» – mit diesem Satz des Dramatikers Heiner Müller hat der Autor sein Schlusskapitel versehen.
Dabei sind die Verhältnisse heute schon schlimm genug: Der Klimawandel ist bereits da und stürzt Menschen in Konflikte. So ist beispielsweise der schier endlose Krieg im Westsudan, dessen Dynamik kaum jemand begreift, weil so viele Faktoren gleichzeitig eine Rolle spielen, auch ein Klimakonflikt: Durch die Verwüstung der Lebensgrundlagen sind in Darfur traditionelle Strukturen kollabiert, die Menschen kämpfen dort um ihr Überleben und geraten in Konkurrenz zueinander, weil nomadische ViehzüchterInnen den KleinbäuerInnen das Land streitig machen (und umgekehrt).
Schweigende Kulturwissenschaft
Solche Kriege um Ressourcen wie Land, Wasser oder Energie werden zunehmen, schreibt Welzer. Das ist an sich keine Neuigkeit. Neu ist auch nicht, dass der Klimawandel Millionen von Flüchtlingen schafft, die dorthin ziehen werden, wo ein Überleben in der Klimakatastrophe noch möglich scheint – wo aber derzeit sämtliche zivilisatorischen Errungenschaften wie Demokratie und rechtsstaatliche Grundsätze über Bord geworfen werden, um die Fliehenden abzuwehren. Neu an Welzers Analyse hingegen ist, wie er die aktuellen ökonomischen, sozialen, kriegerisch-politischen und ökologischen Entwicklungen mit einer Beschreibung menschlicher Verhaltensmuster verknüpft. Gewalt, so Welzer, sei «immer eine Option menschlichen Handelns» – von daher sei es «unausweichlich, dass gewaltsame Lösungen auch für Probleme gefunden werden, die auf sich verändernde Umweltbedingungen zurückgehen».
Der Kulturwissenschaftler Welzer ist an sich kein Pessimist. Aber er stellt unangenehme Fragen – und liefert noch unangenehmere Antworten. Das Thema «Klimawandel» sei bisher hauptsächlich von NaturwissenschaftlerInnen behandelt worden, schreibt er, während die Sozial- und Kulturwissenschaften schweigen. Dabei wäre es ihre Aufgabe, die aktuellen und absehbaren Gesellschaftszusammenbrüche, die Ängste und Radikalisierungen, die Widersprüche menschlichen Handels und die Anpassungsfähigkeit der Spezies Mensch zu erforschen.
Das eine sagen, das andere tun
Diese Anpassungsfähigkeit ist einer der Gründe, weshalb viele die Lage immer noch nicht ernst nehmen. So halten beispielsweise die jüngeren Fischer am Golf von Kalifornien den Fischreichtum für genügend, obwohl die Artenvielfalt dramatisch zurückgegangen ist - sie wissen es nicht besser. Aber die Wahrnehmung allein erklärt nicht die allgemeine Lethargie. Einstellung und Verhalten seien nur lose miteinander verkoppelt, schreibt Welzer (der sich auch intensiv mit Massenmord in modernen Gesellschaften beschäftigt), «weshalb es sehr oft vorkommt, dass Menschen Handlungen begehen, die ihrer Einstellung widersprechen». Vor allem in «differenzierten Gesellschaften mit ihren langen Handlungsketten und ihren komplexen Interdependenzen» schwinde die Verantwortung. Dazu kommt, dass mit dem Klimawandel der Entwicklungsprozess der Menschheit «eine Dynamik erreicht hat, hinter der Habitusformen, die sich über (...) Jahrhunderte herausgebildet haben, tatsächlich nur nachhinken können».
Sind also alle Bemühungen, den Klimawandel zu stoppen, vergebens? Am Ende seines Buches, das auch die kommenden Kriege und die neuen Gewaltmärkte skizziert, bietet Welzer zwei Versionen an. Die optimistischere, die er für unwahrscheinlich hält, ist herausfordernd genug. Der Klimawandel, so Welzer, sei vor allem ein kulturelles Problem: Nur eine globale Neudefinition von gesellschaftlichen Werten kann ihn aufhalten. (pw)